Appalachian Trail

Im Sommer 2010 sind wir einen Teil des Appalachian Trails im Osten der USA gelaufen. Von Central Virginia ging es bis nach Pennsylvania hinein, insgesamt waren das knapp 500 Kilometer. Der Blog hält fest, was uns vor, während und nach der Tour bewegt hat:

Appalachian Trail - Reisebericht über Harpers Ferry

Ich bin todmuede. Der Tag heute war zwar meilenmaessig nur mittelschlimm, dafuer aber sehr heiss. Wie angekuendigt sind wir in Harpers Ferry gewesen und haben das obligatorische Foto am ATC Headquarters gemacht, ausserdem ein paar huebsche AT-Aufnaeher fuer die Rucksaecke gekauft (ja, wir wollen damit angeben). Jetzt sitzen wir frisch gewaschen und mit Nudeln abgefuellt im Harpers Ferry Hostel. Eigentlich wollten wir ja nur einen Platz fuer unser Zelt, aber ein Zimmer kostete gerade 7 Dollar mehr, deshalb dieser ungewohnte Luxus.

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Jule hat vorhin in einer um diese Tageszeit verblueffend aktiven Minute festgestellt, dass wir bisher lediglich drei Naechte (inklusive heute) in einer Nicht-Shelter-Unterkunft verbracht und weitere drei Naechte auf kommerziellen Campingplaetzen geschlummert haben. Gute Bilanz.
(Die Wahrheit ist: Wir brauchen das Geld fuer Essen).

Seit dem letzten laengeren Eintrag ist wieder viel passiert. Von Waynesboro ging es - dicht gefolgt von Rat (nicht "Ret", wie gedacht) - 6 Meilen zum Calf Mtn. Shelter, das am Abend von bedenklich lauten Gewittern umbraust wurde. Wir aber hatten Dank unserem persoenlichen Marine trotzdem ein Feuer und damit unsere Lieblings-Abend-Nahrung: s'mores (geroesteter Marshmallow, Schoki, Keks = lecker).
Auch am folgenden Tag sind wir mit Rat gewandert. Er wollte uns einfach seinen "favorite place on the trail" zeigen: Black Rock. Und tatsaechlich - die felsige Bergkuppe ist sagenhaft. Man hat einen nahezu 360-Grad-Blick auf die weiten Waelder der Appalachen. Wir sind am naechsten Morgen extra vor Sonnenaufgang noch einmal auf den Berg gestiegen (ICH, VOR Sonnenaufgang...). Es war bitterkalt und leider etwas wolkig, trotzdem aber wunderschoen.
Hier, im Morgengrauen, hat sich Rat dann doch von uns verabschiedet. Kurz und schmerzlos, ganz der Military Man. Ich glaube, er waere dennoch am liebsten bis nach Harpers Ferry mit uns gewandert.

Kurzer Einschub: "Geschichten von Rat" - oder: "Dinge, die es sich ueber Rat zu wissen lohnt"

1. Nicht einmal seine engsten Freunde kennen seinen richtigen Namen.

2. Er arbeitet fuer die Regierung. Was genau - geheim.

3. Er pustet Lagerfeuer in Liegestuetz-Position an.

Wir vermissen ihn ein bisschen!

Nun also wieder allein auf dem Trail und hinein in den Shenandoah. Einem der baerenbevoelkertsten Trail-Abschnitte. Und tatsaechlich, wir haben sie gesehen. 12 Stueck insgesamt. Und auch wenn ich jetzt ob der Spannung berichten muesste, dass sie Jule auf den naechsten Baum gejagt oder zumindest ein wenig am Baerenbeutel oder an meinem ohnmaechtigen Koerper genagt haben - die Begegnungen waren in Wirklichkeit doch eher harmloser Natur. Zumeist haben die angeblichen Raubtiere panikartig die Flucht ergriffen, sobald sie uns gehoert (oder viel eher: gerochen) haben. Es gibt ein paar verwackelte Beweisfotos, die selbstverstaendlich nach unserer Rueckkehr in diesem Blog veroeffentlicht werden.

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Shenandoah ist bisher unser liebster Abschnitt gewesen. Es gibt nur kleine Anstiege, die Natur ist herrlich, und alle 20 Meilen gibt es ein Restaurant oder einen Campstore (die Brombeer-Eiscreme kann man nur empfehlen). Dank des weniger anstrengenden Hoehenprofils haben wir auch unseren ersten 20-plus-Meilen Tag hinter uns gebracht. Moechte ich aber nicht noch mal unbedingt wiederholen, ein Durchschnitt von etwa 14 Meilen am Tag genuegt mir voellig. Dann bleibt auch noch genug Zeit fuer das geliebte Feuerchen, den Tee, die Sandwiches ...

Auch in Shenandoah war das Glueck wieder auf unserer Seite. Besonders in Erinnerung geblieben: Am Pinnacle Picnicground packten wir gerade unser typisches Lunchpaket aus (Brot, Buechsenfleisch, Kekse), als eine aeltere Dame auf uns zukam:
Sie: "Ihr seid Deutsche, nicht?"
Wir: "Ja."
Ueblicher Austausch ueber Wohnort, Berufsstand usw. Sie kam aus Muenchen und begleitete einen Schueleraustausch, der vom "American Woman's Club" (oder so aehnlich) organisiert worden ist. Aha.
Sie: "Ich habe hier Huehnchen von gestern, bedient euch. Wir fahren jetzt weiter. Gute Reise."
Wir: Abwesend, weil in Huehnchen versunken.
Zwei Minuten spaeter brachte sie uns noch kaltes Wasser, weitere zwei Minuten spaeter vier riesige Kuchenstuecke. Ich weiss nicht mal mehr ihren Namen, doch mein Dank ist ihr ewig sicher!

In Front Royal haben wir den Nationalpark schliesslich verlassen. Und auch hier hat wieder einmal alles gepasst: Wenige Tage zuvor hatten wir Mike getroffen, der mit seinem Sohn seit neun Jahren in kleinen Abschnitten den AT erwandert. Und er erzaehlte uns von Sharon, die gemeinsam mit ihrem Mann scheinbar nur auf dieser Welt ist, um Hikern Gutes zu tun: Man darf umsonst in ihrem Haus uebernachten, bekommt ein ueppiges Dinner am Abend, ein reichhaltiges Fruehstueck und wird auch noch vom und zum AT kutschiert. Umsonst, wie gesagt. Nur eine kleine Spende fuer das Essen moechte sie.
Tatsaechlich holte sie uns puenktlich wie ausgemacht am AT ab (sogar ein bisschen eher, wir waren in Anbetracht von baldiger Cola bereits eine Stunde zu frueh am Treffpunkt). In weisse Bademaentel gehuellt sassen wir alsbald mit Bier am Abendbrottisch und hoerten spannende Geschichten von Tom, dem Ehemann von Sharon, der aktives Mitglied im lokalen AT-Wanderclub ist und sein Leben dem Bauen von Wanderwegen gewidmet hat (zumindest sein Pensionaers-Dasein, zuvor haben sie beide bei der Army gedient und unter anderem drei Jahre in Frankfurt gelebt). Es war ein gemuetlicher Abend und ein herrliches Gefuehl mal wieder in einem Bett zu schlafen. Leider begann der naechste Tag fuer mich eher unschoen: Mein Magen rebellierte und ich lag den ganzen Vormittag im Bett, waehrend Jule sich am Hausputz beteiligte. Gegen Mittag wurde es aber etwas besser und Sharon fuhr uns zurueck zum AT. Es regnete in Stroemen und ich fuehlte mich ziemlich matt, deshalb machten wir bereits nach sieben Meilen am Dick's Dome Shelter Halt. Dort trafen wir uebrigens auch auf Bryan, der uns spaeter das bereits erwaehnte Radio schenken sollte.

So viel fuer jetzt, gleich klappen meine Augen zu. Jule, die Gute, hat noch ein Pfefferminztee bereitet, dann geht es ins Bettchen.

Viele Gruesse!